Der Powerpointer

2011-05-24 20:43

Glanzstücke deutscher Literatur findet man manchmal nur durch Zufall und dort, wo man sie nie erwarten würde.

HR2 ‚Der Tag‘ vom 06.05.2011 ist ein solches Beispiel, welches hier in Ausschnitten zitiert werden soll:

Im Raum sammeln sich die Gläubigen, Mitarbeiter der Abteilung, vorne der Hohepriester, Leiter der Abteilung. Begleitet von einer dienenden Kreatur, gerne aus der Marktforschung. Das Ritual beginnt.

Ein Computerbildschirm erscheint auf magische Weise an der Wand, die Kreatur klickt, es öffnet sich, Powerpoint.
Das erste bunte Bild leuchtet auf.

Ein Titel, irgendwas mit Feldstudie, Marktpositionierung und zukunftsfähig.
Alle reißen entsetzt die Augen auf, bleiben aber regungslos sitzen. Weitere bunte Bilder erscheinen, der Chef beginnt sie zu deuten. Worte schwirren durch den Raum: strategisch, zielgruppenspezifisch, kundennah, optimieren, positionieren, konsolidieren.

Für die Zuhörenden ergibt das keinen Sinn. Sie verstehen nur eines: die bunten Bildchen, gesäumt von den Worten ihres Vorgesetzten, bilden die Wirklichkeit ab.
Nicht die, die sie aus ihrer täglichen Arbeit kennen, sondern eine höhere Wirklichkeit und die Zukunft gleich mit.

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Natürlich regt sich Widerstand im Restbewusstsein, eine innere Stimme schreit geradezu: das ist doch Unfug. Du weist, dass der Typ nach dem Dilbert-Prinzip zu seinem Job gekommen ist.
Fachlich und sozial inkompetente schicken sie ins Management wo sie am wenigsten Schaden anrichten. Der hat null Ahnung von nix und erklärt euch hier euren Job.

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Aber die schwarze Magie von Powerpoint ist stärker als alle Vernunft. Diese aufgeräumten, farbigen, womöglich animierten Grafiken mit Schriftbeilage ersticken jeden gesunden Menschenverstand.

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Powerpoint-Präsentationen sind Rituale mit denen die Ahnungslosen die Wissenden unterwerfen. Wer nichts zu tun, aber etwas zu sagen hat, sorgt mit dem bunten Spuk dafür, dass das so bleibt.

Ganz Mutige versuchen den finsteren Ritus mit Zwischenfragen zu unterbrechen, in der Hoffnung, das auf so ein geheimes Zauberwort das ganze verkehrte Wesen fortfliegt. Aber leider ist für schwarze Powerpoint-Messen nicht nur VALIS zuständig, sondern Kafka. Und der hätte dem Aufmüpfigen so jede Hoffnung genommen.

Wenn irgend ein hinfälliger Sklave auf einem Holzstuhl seinem peitschenschwingenden erbarmungslosem Tyrann Zettel reichen würde, von denen der, mit Schaum vor dem Mund, immer neue Irrsinnsparolen ablesen würde, und dieses Spiel sich in die öffnende graue Zukunft fortsetzte, dann vielleicht eilte ein junger Kollege nach vorne und riefe das HALT durch die Tiraden des Rasenden.

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