Vorbereitungen auf einen Monat offline

2005-09-28 09:12

Die härteste Zeit meines Lebens beginnt in drei Tagen. Keine Erfahrung meines kurzen Lebens wird an diese kommende schmerzhafte Zukunft heranreichen, O.K. vielleicht ein oder zwei – aber es wird eine schlimme Zeit. Ich werde verofflinet werden. Aber wenigstens kann ich mich bereits jetzt darauf vorbereiten, seelisch und moralisch. Es schmerzt aber bereits jetzt. Die Vorstellung der kommenden Wochen verursacht Hagen Unbehagen.


Ursächlich ist mein Umzug nach Leipzig. Nachdem ich mich am Freitag spontan für die erste von zwei potenziellen Wohnungen entschieden habe, beantragte ich Freitag Nacht sofort einen ISDN-Anschluß und T-DSL 6000 (weil wegen dem halben MBit upstream, schließlich steht der Server für mein OpenSource-Projekt ToBuS zu Hause). Gestern nachmittag kam eine eMail von T-Com. Mein DSL-Anschluß würde in der KW43 bereitgestellt werden. Was wie? In vier Wochen? Ist da noch DDR?

Kurz nach der Wende, nämlich 1996, bekam ich auch einen Telefonanschluß, da habe ich nur noch einige wenige Jährchen darauf warten müssen. Telefonanschlüsse waren ja in der DDR Luxus und für normale Bürger, auf die die Stasi keinen Kiecker hatte, die sie nicht abhören wollte, nicht unbedingt mit einer ansatzweise als Priorität zu bezeichnenden Priorität vorgesehen. Dementsprechend war die Infrastruktur nicht sonderlich ausreichend ausgebaut. 1992, da war ich 16, beantragte ich jedenfalls einen Telefonanschluß, der kam dann einen Umzug später, Mitte 1996 – kurz vor einem weiteren Umzug. Dort gab es dann den Anschluß innerhalb weniger Tage, und auch DSL gab es dann ganz schnell.

Seit zehn Jahren lebe ich also ziemlich gut an kommunikative Netze angebunden. Das ist so selbstverständlich geworden, dass ich es mir nicht mehr vorstellen kann, ohne Vernetzung zu leben. Frühmorgens beim „Frühstück“, bestehend aus Nikotin und Koffein nicht mehr online sein dürfen? Keine Mails lesen? Ich kann es mir eigentlich fast nicht vorstellen.
morgens beim Frühstück
Die T-Com riskiert, dass ich mich daran gewöhne und den Neuanschluß vor Schaltung in der, nun erst KW44, wie mir auf Nachfrage mitgeteilt wurde, wieder abbestelle, weil es sich ohne den morgendlichen Streß vielleicht viel ruhiger leben lässt: in Ruhe etwas essen, sich pünktlich auf den Weg in die Firma machen, abwarten, was der Tag so bringt – nicht immer schon nach dem Aufstehen sofort nach der Gesundheit der Systeme zu schauen…. . Internetz habe ich auf Arbeit nämlich auch – 10 bis 12 Stunden täglich.
„Meine“ Server und Internet-Anbindungen sind für mich so etwas wie meine Kinder, die man frühmorgens weckt (obwohl sie natürlich die ganze Zeit wach waren), guckt, ob sie gesund sind, wie sie sich fühlen, ob man sie in die Schule schicken kann ….. – sie sind aber viel praktischer als Kinder. Man kann sie anschreien, ohne dass sie es einem Übel nehmen (OK, manchmal habe ich da meine Zweifel, gut zureden, Mut zusprechen, hilft manchmal mehr – Computer sind eben auch nur Menschen). Das wichtigste aber, sie wecken einen nicht am Sonntag morgen, wenn man ausschlafen will – nur manchmal, ganz selten, schreien sie nachts, indem sie eine SMS auslösen, weil sie irgendwelche Schmerzen haben, da muss man dann auch aufstehen und sich um sie kümmern. Sie spielen auch miteinander, Streit kommt nur selten vor (irgendwelche SPAM-Attacken von anderen bösen Kindern). Und wenn man keine Lust hat, sich um sie zu kümmern, lässt man sie einfach allein. Das lässt sich meistens einrichten. Nur ganz selten wollen sie abends nicht ins Bett gehen, und man muss sich die halbe oder ganze Nacht mit ihnen beschäftigen. Vernetzte Systeme sind wirklich wie Kinder, sozusagen ein Ersatz. Meine Systeme liebe und bemutter ich genauso, wie Eltern ihre Kinder betutteln. Sie haben nur einen großen Nachteil, sie werden später, wenn sie groß und weise sind, nicht in die Sozialkassen einzahlen. Wenn sie alt sind und alles lebenswichtige gelernt haben werden sie enfach abgeschaltet. Das ist dann immer ein schmerzhafter Verlust, wenn man sich von einem liebgewordenen Server trennen muss, dessen Charakter man doch in den Jahren selbst geprägt hat, den man ganz genau kennt, der nur selten Sachen macht, die man ihm nicht zugetraut hätte.
Uupps, das war jetzt ein ziemlich langer Ausflug in die Seele von Computerystemen und die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Ein nicht mit-Leib-und-Leben-Techniker wird sowieso nicht nachempfinden können, dass man solch innige Beziehungen zu Computern aufbauen kann. Vermutlich wird mich mit diesem outen die Mehrheit der Leser als krankhaft einstufen (wobei ich anmerken darf, dass ich auf das Bildnis, was sich andere Menschen über mich machen, weitestgehend pfeife). Aber wie ich oben schrieb, es ist (m)eine Ersatzfamilie. Es ist mein Job, den ich mit Liebe zum Beruf und mit ganzem Herzen mache. Zwei Familien zu haben, eine echte und eine virtuelle, das klappt übrigens nicht besonders gut. Das habe ich sieben Jahre ausprobiert.

Zurück zum Thema:
Zur Ehrenrettung der T-Com muss man sagen, dass sie mir sehr wohl den ISDN-Anschluß zum 1.10. schalten würden – nur eben DSL kommt erst viel später. Wozu brauche ich aber einen Telefonanschluß? Ich brache DSL von der Telekom, weil nur über einen solchen Anschluß mein /29-Netz geschaltet werden kann. Telefonieren kann ich auch übers Handy – 100 Minuten im Monat, das reicht für mich.

2 Kommentare to “Vorbereitungen auf einen Monat offline”

  1. zarniwoop Says:

    Full Ack …

  2. shensche Says:

    word, alter! in tschechien gibt es uebrigens von t-mobile ne gprs-flatrate fuer 30 EUR/monat – ohne anmeldungsgebuehr oder vertragsbindung. quasi by call.

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