alle 45 Minuten – es trifft auch Dich

2005-09-10 17:33

Gedanken, inspiriert von Fritz
fourty minutes
Ich habe es gut. Ich habe es hinter mir.

Fast zehn Jahre ist es nun her, dass ich einen mir sehr, sehr wichtigen Familienangehörigen auf diese Weise verlor. In dieser Zeit kann man sich eine Menge Gedanken machen, sie wieder revidieren, genau hinhören, weghören, nachdenken, verzweifeln, hoffen, wissen, trösten – nein, letzteres kann man nicht.

Etwas mitfühlen, sich in die Lage versetzen, erinnern – das gelingt sicherlich – mehr aber nicht.

Das erste mal begegnete ich dieser Situation um das Jahr 1985. Es war im Stasi-Wohn-Viertel Berlins, in der Dolgenseestraße. Zweimal. Zweimal Hochhaus, nur wenige hundert Meter entfernt. Ich kannte die Personen nicht, es betraf mich nicht, ich wollte aber erwähnt haben, dass es den Suizid bereits in der DDR gab. Nach der politischen Wende nahm er aber scheinbar zu. Es gab mehr Opfer – man hörte an jeder erdenklichen Stelle davon. Und vor allem, man sprach darüber. Noch hinter der vorgehaltenen Hand und leise, aber es war kein absolutes Tabu mehr. Die Statistik [PDF] der TU Dresden ergibt da aber ein anderes Bild der Wirklichkeit. Das wiederrum bedeutet, dass in der heutigen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe mehr darüber gesprochen wird (als es z.B. durch den Nachrichtenfilter-Apparat der DDR erlaubt wurde).

Und trotz sinkender Zahlen ist jedes einzelne Schicksal ein Schicksal zuviel. Viele Menschen sind davon betroffen, die durch dieses einschneidende Erlebnis selbst in ihrem Lebenswillen geprüft werden und im Kampf mit den alltäglichen Problemen über die Vorteile dieses demonstrierten Ausstiegs nachdenken. Auch wenn sie es nicht zugeben werden.

Therapie, also psychologische Betreuung, ist für die Opfer, die Hinterbliebenen, inzwischen selbstverständlich – sofern sie es denn wollen. Meine Therapie bestand damals in „noch mehr arbeiten“, und doch gibt es viele ruhige Minuten zum Nachdenken und grübeln. Der Verein „Feunde fürs Leben e.V.“ [FRND!DE] will sich nun um Prävention, und hier verstärkt um Prävention bei Jugendlichen kümmern. Sie setzen auf verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und haben als Partner z.B. die Berliner S-Bahn und sogar MTV ins Boot geholt. Diverse Agenturen haben Plakate oder TV-Spots entworfen. Bleibt zu hoffen, dass es sich bei den Aktionen nicht nur um ein kurzzeitiges Aufbäumen handelt, sondern diese regelmäßig und beständig wiederholt werden.

Übrigens, montags ist es am gefährlichsten, von der Thematik betroffen zu werden – so kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

PS: vielleicht noch ein Blick in die Vergangenheit, ein Briefausschnitt Tucholskys, einen Tag vor seinem Suizid. An „Det Norske Studentersamfund“ Wer behauptet, hierin Absichten zu erkennen, ….. – Nein, man erkennt es nicht. Man erkennt im Vorfeld die potenzielle Gefahr – aber den genauen Zeitpunkt, andem es KLICK macht, den erkennt man nicht – und daher ist es auch so schwer, die Tat zu begreifen.

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