Psychologie sollte man studieren

2005-05-21 12:43

So langsam begreife ich das Geschäftsmodell der Lidl-Bahn-Wiederverkäufer. Eigentlich ist es ganz einfach:

Man geht am Vorabend zu seiner Sparkasse und holt von seinem Sparbuch die notwendigen Investitionskosten von 63 Millionen Euro ab (nur Bares ist Wahres). Sollte man diese zufällig momentan nicht auf dem Sparbuch verfügbar haben, oder die Spaßkasse macht Probleme wegen angeblich notwendiger Kündigungsfristen und so, muss man leider den Dispo seines Giro-Kontos etwas in Anspruch nehmen.


Weiterhin muss man noch 250000 Saison-Arbeitsplätze schaffen, die Anmeldung eines Unternehmens sollte man aufgrund der bürokratischen Hürden für diese Aktion jedoch tunlichst unterlassen, es würde zum Beispiel ein Betriebsrat fällig – das muss man sich ja nicht antun. Als potenzielle Arbeitnehmer greift man am Besten auf 1-Euro-Jobber zurück. Jeweils 100 von diesen müssen sich um fünf Uhr morgens vor den 2500 Lidl-Filialen in Deutschland anstellen (daher werden wir unsere Arbeitnehmer im Folgenden einfach einmal Angestellte nennen) und werden bis 9 Uhr beschäftigt – verdienen also pro Nase 4 Euro. Das verursacht leider noch einmal Kosten in Höhe von 1 Millionen Euro – die Gehaltszahlung sollte also erst zum Monatsende (oder noch etwas später) erfolgen. Die 250000 Arbeitnehmer Angestellten können bei fünf erlaubten Ticket-Doubles also theoretisch 1,25 Millionen Tickets erwerben. Jedem der 250000 Arbeitnehmer Angestellten drückt man 250 Euro für die Spesen in die Hand. Da man selber ja nicht doof ist, verteilt man die Ticketerwerber unsymetrisch – in den Städten mehr als in den ländlichen Regionen. Dort reichen auch 50 Ticketerwerber vor einem Lidl.
Die mangels Angebot nicht verbrauchten Spesen von 13 Millionen Euro kann man dann sofort wieder auf sein Sparbuch einzahlen oder den Dispo ausgleichen, da freut sich die Sparkasse. Damit wir nicht den Überblick verlieren: wir (also eigentlich die Angestellten) haben jetzt 1 Millionen Arbeitsstunden geleistet.

Jetzt müssen wir leider auch ein bisschen arbeiten – aber das kann man ja an seinem Schreibtisch als Angestellter eines großen Konzerns oder einer öffentlichen Verwaltung beruhigt tun. Unser Betriebsrat, eine sehr vernünftige Institution für Arbeitnehmer wie mich, hat ja erkämpft, dass gelegentliches surfen während der Arbeitszeit erlaubt ist, damit man sich als Arbeitnehmer mit den ’neuen Medien‘ vertraut machen kann. Wir reißen nun die Fahrkarten-Doubles auseinander und verkaufen so 2 Millionen einzelne Tickets – natürlich bei dem von der Bahn indirekt beworbenen Auktionshaus eBay. Die Bevölkerung ist, auch durch unseren cleveren Lidl-Schachzug mit den1-Euro-Jobbern und den Berichten in Rundfunk, Fernsehen und Zeitung, so angefixt von der Idee, unbedingt auch so ein Ticket zu bekommen, dass sie sicherlich jeden Preis zahlen wird. Wir verkaufen also unsere zum Einkaufspreis von 25 Euro erstandenen Einzeltickets wie z.B. hier für über 100 Euro – das entspricht bei den hoffentlich bald verkauften 2 Millionen Tickets einem Gewinn von 150 Millionen Euro. Und, wer den Rat beherzigt hat, kein Unternehmen anzumelden, deklariert das bitte keinesfalls beim Finanzamt – es handelt sich schließlich um ein unbedeutendes und vor allem zeitlich sehr begrenztes Privatgeschäft – inkl. „Umtausch-ausgeschlosen-Klausel“. Ich mache sowas ja nicht jede Woche. Interessant ist der erwirtschaftete Gewinn pro geleisteter Arbeitsstunde: 150 Euro Stundensatz abzüglich des einen Euro pro Stunde für den Arbeitnehmer Angestellten. Das ist ganz ordentlich, muss aber besser werden – Anwälte dürften mehr verdienen.

Am Rande bemerkt: die zwei Millionen positiven Bewertungen auf den extra für diese Aktion angelegten eBay-Account sind später vielleicht noch einmal hilfreich, sollten die Geschäfte mit der Dummheit der deutschen Bevölkerung irgendwann nicht mehr so gut laufen.

Ich möchte meinen Dank den Marketinglern der Deutschen Bahn AG aussprechen, die diese Aktion erst ermöglicht haben. Ohne Ihr Jahrelanges Streben, einen möglichst undurchschaubaren Tarifdschungel zu schaffen, ohne ihre strikte Volumenbegrenzung dieser Aktion und vor allem ohne ihre geniale Pressearbeit und die sehr gut plazierte Werbung für die Auktionsplattform wäre mir dieser Coup niemals gelungen. Danke!

PS: nächstes Mal mache ich das besser, ich war fest davon überzeugt, dass Lidl die Anzahl der Tickets in ihren ländlichen Filialen wesentlich geringer hält als in den städtischen. So konnte ich leider nicht alle Tickets sofort erwerben lassen (1-Euro-Jobber sind ja leider nicht so mobil, vor allem nicht bei fehlender Bahnanbindung). Aber meine städtischen 1-Euro-Jobber sind ja clever gewesen, und haben sich in die Listen eingetragen. So vertraue ich auf das Versprechen von Lidl und dass ich damit auch noch an meine restlichen Tickets komme.

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